Bubikopf

Nachdem er sich in den Jahren davor nur langsam angeschlichen hatte, war der Bubi- oder Bubenkopf ab 1924 auch in Wien nicht mehr zu bremsen. Vom vereinzelten Phänomen wurde er zum viel diskutierten und heftig umstrittenen Massenphänomen. (…)

Warum aber war die neue Frisur überhaupt so ein „heißes“ Thema? Der Grund lag vor allem in der Radikalität, mit der sie die bis dahin gültigen Vorstellungen von Weiblichkeit in Frage stellte. Bis dahin hatten langes Haar und Weiblichkeit eine äußerst stabile Einheit gebildet: Es galt als „natürliches“ Kennzeichen des weiblichen Geschlechts, als wesentliches Element weiblicher Schönheit und erotischer Anziehungskraft. Nur selten im Lauf der Geschichte hatten Frauen Kurzhaarfrisuren getragen, und sie waren nie ein Massenphänomen. So fand um 1800 die Frisur à la Titus nicht nur bei Männern, sondern auch bei manchen Frauen einen gewissen Anklang. Um 1900 schnitten sich einige der ersten Frauenrechtlerinnen und Feministinnen die langen Haare ab, um ihren Emanzipationsbestrebungen und ihrer Kritik an den herrschenden Weiblichkeitsnormen Ausdruck zu verleihen. Ebenso plädierten die ersten Verfechterinnen des Frauensports für eine praktischere und pflegeleichtere Kleidung und Haartracht. (…)

Nachdem das Ende der Monarchie und die Ausrufung der Republik dann auch noch gravierende rechtliche und soziale Änderungen für die Frauen mit sich brachten (u.a. das Frauenwahlrecht und neue Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten), war die Zeit reif für ein neues Frauenleitbild. Unter dem Schlagwort „neue Frau“ verstand man einen modernen Frauentypus für das demokratische 20. Jahrhundert, der seine Interessen und Betätigungsfelder nicht mehr ausschließlich auf Haushalt, Ehe und Familie sowie angestammte Sparten der Erwerbsarbeit beschränkte, sondern auch eigene Lebensperspektiven entwickelte und bisher männliche Sphären eroberte. Das sollte sich auch im äußeren Erscheinungsbild zeigen: Die „neue Frau“ war nicht nur emanzipiert, selbstbewusst und berufstätig, sondern auch schlank, sportlich, jugendlich, modisch und gepflegt.

Quelle: Wien Museum Magazin